Wieder aufstehen
In diesem Raum soll der Workshop also stattfinden? Der ist ja riesig, schwirrt es in meinem Kopf. Ah, einer der Organisatoren ist schon da und die ersten Teilnehmer haben den Konferenzraum im Leverkusener Jugendamt auch gefunden. Die Leute unterhalten sich noch wenige Minuten über dies und jenes, während ich die Technik einrichte. Einige (un)geschickte Versuche später, voilà: Der Beamer wirft ein riesiges Bild an die Wand.
Gleich werden wir Fotos von Rechtsextremisten wie Anders Breivik, den NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos und extremistischen Terroristen wie Abu Bakr Al-Baghdadi sehen. Es ist Schade, diese riesige Projektion dafür zu missbrauchen. Die Kinderrechtsaktivistin Malala wird dafür auch zu sehen sein. Das tapfere Mädchen aus Afghanistan, das diesen mächtigen, bedrohlichen Männern und der ganzen Welt zu trotzen scheint. NSU, Extremismus, Kriege in Syrien, Jemen, Afghanistan, Tote im Mittelmeer, brennende Asylheime. Und doch finden Jugendliche den Weg nach Leverkusen.
Wir blicken dem Bösen ins Auge
Wie ein altes Familien-Fotoalbum schauen wir uns graue Bilder von Krieg und Menschenfeinden und dieses eine bunte Porträt eines Mädchens an, dessen Gesicht teils gelähmt ist. Sie trägt ein pinkes Kleid und Kopftuch. Die Anwesenden teilen ihre Eindrücke zu den Bildern und so werde ich selbst zum Teilnehmer und höre aufmerksam zu. “Aha, okay, ja, hm, also da weiß ich nicht so recht. Hat noch jemand eine Meinung dazu? Was sagen die anderen?”
Manche von uns nutzen die Pause nach der Präsentation für das Gebet. Es ist schon dunkel. Wir halten inne und ruhen unseren Kopf nach dieser anstrengenden Einheit aus.
„Also ich habe wirklich unschöne Dinge erlebt. Ich wurde oft wegen meiner Herkunft angefeindet oder wurde aus anderen Gründen angegriffen und ich habe das auch nicht immer über mich ergehen lassen, sagen wir mal so. Ich wünsche das niemand anderem. Aber ich habe daraus gelernt. Ich bin ein besserer Mensch geworden und hoffe, dass ich durch meine Teilnahme hier etwas bewirken kann. Damit andere nicht selbst solche Erfahrungen machen müssen, um zu lernen. Weil viele es nicht schaffen, danach wieder aufzustehen!“ sagt einer der Teilnehmer in der anschliessenden Diskussion.
„Wieder aufstehen“? „Wieder aufstehen“. All die Probleme, all die Krisen, die mich zweifeln ließen, wären schlimmer, wenn wir nichts täten. Wenn wir nicht stehen würden. Ich merke, dass der große Konferenzraum nun gefüllt ist. Nicht mit Teilnehmern sondern mit Ideen, Ambitionenen Inspirationen und Motivation, etwas Gutes zu bewirken.
All das erinnert mich daran, warum wir wieder aufstehen und nicht am Boden bleiben. Die positive Wirkung, die wir haben können, ist real. Selbst wenn es nur ein Lächeln oder ein freundliches Wort ist. Der Impuls ist erfahrbar, er verändert uns zum Guten und bleibt ein Leben lang. Dafür ist es wert, die grausamen Bilder in Erinnerung zu rufen und diese anstrengende Konfrontation mit sich selbst in Kauf zu nehmen.
Abdullah Sarı
Lehramt-Student und Junior-Coach bei 180 Grad Wende