Numan Özer und Mohamed Mermari vom Projekt JVA-Gesprächskreis im Interview über einen ganz besonderen Moment hinter Gittern.
Heute war ein besonderer Tag für Euch: Am 18. Juni habt Ihr das erste Zuckerfest in der Geschichte der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf (JVA) veranstaltet. Wie war es?
Özer: Wir haben schon seit längerer Zeit angeregt das Zuckerfest im großen Rahmen auszurichten, aber nie eine Genehmigung dafür erhalten – bis jetzt jedenfalls! Dieses Jahr kamen die Integrationsbeauftragten der JVA Köln-Ossendorf dann persönlich auf uns zu und haben gefragt, ob wir unsere Idee immer noch realisieren möchten. Natürlich haben wir sofort zugestimmt, den Programmablauf formuliert und umgesetzt. Besonderen Wert haben wir darauf gelegt, dass das Fest für Inhaftierte aller Glaubensrichtungen offen ist, gleichwohl das Zuckerfest (arabisch Eid al-fitr) das Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan markiert. Wir wollen unbedingt, dass dieses Fest auch als eine Möglichkeit des friedlichen Miteinanders und der Begegnung genutzt wird. Wir sind sehr glücklich, dass – dank der guten Zusammenarbeit mit der JVA – alles so reibungslos funktioniert hat.
Kurze Zwischenfrage: Was glaubt Ihr, warum die JVA Eurem Vorhaben erst in diesem Jahr zugestimmt hat?
Özer: Ich denke es liegt an zwei Faktoren. Erstens sind wir keine unbekannten Akteure mehr. Man hat unsere Arbeit im Laufe der Zeit kennen und wertschätzen gelernt und eine Vertrauensbasis wurde geschaffen. Zweitens wurden Integrationsbeauftragte an den Justizvollzugsanstalten in NRW eingesetzt. Seitdem hat sich die Sensibilität für kulturelle Anliegen deutlich verbessert. Das macht diese Form von Veranstaltungen überhaupt erst möglich.
Was war dein Eindruck vom Zuckerfest?
Mermari: Sehr gut! Ich bin total begeistert! Ich weiß, wie schwer es ist Dinge in Haftanstalten zum Laufen zu bringen, aber es hat alles von Anfang bis zum Ende super geklappt. Wir wurden von allen willkommen geheißen; haben die benötigten Materialien zur Verfügung gestellt bekommen. Ich bin immer noch ganz gerührt. Großen Dank an unseren Sponsor, dem Restaurant Kilim (Keupstrasse. 69, Köln), für das viele und leckere Essen. Es war toll. Wir sind sehr zufrieden!
Numan Özer und Mohamed Mermari
Was genau ist denn passiert beim Zuckerfest in der JVA?
Özer: Vielleicht kann ich eine schöne Situation vom Morgen des Zuckerfestes erzählen. Da ist nämlich auch etwas ganz Tolles passiert. Im Vorfeld hatten wir mit dem Restaurant Kilim vereinbart uns die Speisen bereitzustellen, was sie auch dankeswerterweise unentgeltlich getan haben. Also haben wir uns früh am Morgen auf der Keupstrasse getroffen, um das Essen abzuholen. Fleisch, Reis, türkische Pizza, reichlich viele Speisen. Wirklich super! Allerdings hatte das Restaurant vergessen, ausreichend Ayran (türkisches Joghurt-Getränk) zu bestellen. Also ist der Mitarbeiter vom Kilim mit uns zum Nachbar-Restaurant gegangen, um zu fragen, ob sie uns Ayran geben könnten. Das haben sie auch tatsächlich gemacht und obendrauf haben sie uns noch ein ganzes Blech Baklava (türkisches Gebäck aus Pistazien und Blätterteig) geschenkt! Das Geschehen hat ein weiteres Restaurant mitbekommen, dass sich auch beteiligen wollte: Am Ende standen wir mit viel zu viel Getränken da. Die Ausgiebigkeit und Bereitschaft der Menschen zu helfen, hat uns sehr berührt.
Im Anschluss daran sind wir direkt in die JVA gefahren und haben alles für das Zuckerfest vorbereitet. Mikrofon und Technik haben wir von der JVA bekommen. Ein Inhaftierter war besonders engagiert. Er hat uns sowohl beim Auf- und Abbau als auch bei der Essensausgabe geholfen, wirklich toll. Aus Sicherheitsgründen bekamen wir die Auflage, dass maximal 100 Inhaftierte in zwei Gruppen an der Veranstaltung teilnehmen dürfen. Gegen 10 Uhr kam dann die erste Gruppe muslimischer und nicht-muslimischer Inhaftierter. Einige kannten wir schon aus den Gesprächskreisen, aber die Mehrheit war uns unbekannt. Wir haben dann ein Begrüßungswort und eine Rede zum Thema Vergebung gehalten. Die Worte haben Anklang gefunden. Aber klar waren auch Einige dabei, die sich einfach über das gute Essen gefreut haben. Uns war vor allem wichtig, dass die Botschaft des Miteinanders herangetragen wird, und das ist uns auf jeden Fall gelungen!
Was war ausschlaggebend zu sagen: Wir brauchen jetzt ein Angebot für Straffällige muslimischen Glaubens in den Haftanstalten?
Özer: 180 Grad Wende ist seit mehr als fünf Jahren im Bereich der Kriminalitäts- und Radikalisierungsprävention tätig. Leider ist es so, dass es in NRW viele Inhaftierte muslimischen Glaubens gibt. Im Zuge der Recherche zum Thema Präventionsarbeit mit Straffälligen muslimischen Hintergrundes, mussten wir allerdings feststellen, dass es proportional zur Anzahl dieser Gruppe nur sehr wenige Angebote in NRW gibt. Es gibt zwar Maßnahmen der Seelsorge, aber diese ist vorwiegend christlich geprägt. Vereinzelte Bemühungen mit Muslimen bestehen zwar, sind aber nicht dauerhaft und ausreichend. Nun ist es aber Auftrag einer Haftanstalt Menschen nicht nur zu bestrafen, sondern auch für die Rückkehr in die Gesellschaft vorzubereiten. Wir sind der festen Überzeugung, dass es eines breiten Angebotes bedarf, das in der Lage ist Inhaftierte unabhängig ihrer Herkunft und Religion zu erreichen, um Resozialisierung erfolgreich bewerkstelligen zu können.
Wir wollten zumindest den Versuch unternehmen ein nachhaltiges Angebot zu etablieren, dass Straftätern noch während der Haft Perspektiven und Orientierung ermöglicht.
Es war ein langer Weg, denn eine Genehmigung für eine so hochsensible Anstalt, wie einem Gefängnis zu erhalten, ist äußerst kompliziert. Es hat fast zwölf Monate gedauert bis wir die Zulassung für die JVA Köln erhalten haben. Das war im Oktober 2015; seither sind wir einmal in der Woche, in der JVA Köln und haben das Angebot auf Düsseldorf und Siegburg erweitert. Uns erreichen sehr viele Anfragen von verschiedenen Haftanstalten NRWs. Leider sind wir personell und finanziell nicht in der Lage alle Anfragen stemmen zu können, zumal auch eine räumliche Entfernung vorliegt. Der Wunsch unser Angebot weiter auszubauen, noch mehr Inhaftierte zu erreichen und einen Beitrag für den gesellschaftlichen Frieden zu leisten, besteht jedoch nach wie vor.
Was genau passiert in den JVA-Gesprächskreisen?
Özer: Die Gesprächskreise haben einen standardisierten Ablauf. Das Programm ist auf etwa zwei Stunden ausgelegt und findet einmal die Woche in den Abendstunden statt. An den Gruppen können maximal fünfzehn Teilnehmer mitmachen. Meistens besuchen zwei Gruppenleiter eine Haftanstalt und beginnen mit einem kurzen Eisbrecher, das heißt wir fragen erst einmal wie es den Einzelnen geht und was in der Woche passiert ist. So geben wir neuen und alten Teilnehmern die Möglichkeit, sich gegenseitig kennenzulernen. Dann kommt ein Impulsvortrag von einer halben Stunde, wo wir universelle Werte vermitteln: Regeln des guten Miteinanders, des Zusammenlebens, des guten Benehmens. Damit werden Selbstreflexion und die Einsicht gefördert.
Zum Ende machen wir Meditations- und Ruheübungen oder moderieren mit einer Frage eine Diskussion unter den Teilnehmern. Das Ganze findet seinen gemütlichen Ausklang bei Tee und Kuchen, wo in kleinen Gruppen miteinander geredet wird. Generell ist es so, dass Deutsch die Kommunikationssprache ist. Um bei Bedarf sprachliche Barrieren seitens der Teilnehmer überbrücken zu können, wählen wir unsere Gruppenleiter so, dass sie verschiedene Sprachen beherrschen und sensibel für kulturelle und auch spirituelle Bedürfnisse sind.
Wenn es dann im Gespräch, um individuelle Sorgen, Nöte und Ängste geht, ist es dennoch möglich in der jeweiligen Muttersprache einen Zugang zu den Inhaftierten zu finden und das Problem aufzuarbeiten.
Mermari: Wir haben eine Reihe an vorgefertigten Themen, die wir den Gesprächskreisen zugrundelegen. Dennoch haben die Inhaftierten die Möglichkeit auch Themen an uns heranzutragen, die wir dann für die Sitzung vorbereiten und vorstellen. Das heißt die Inhaftierten haben einen gewissen Einfluss auf die Gesprächsinhalte. Wir haben die Kompetenzen, Themen auf verschiedenen Ebenen zu behandeln – auf individueller, spiritueller und gesellschaftlicher Ebene. Es geht auch um die Zeit nach der Entlassung, wie komme ich draußen klar, wie kann ich die Beziehung zu meinen Mitmenschen aufbauen, wie kann ich ein erfülltes Leben in Deutschland führen etc..
Monate oder sogar Jahre isoliert von der Gesellschaft zu leben, und dann in die Freiheit entlassen zu werden, bereitet den Meisten Angst.
Deswegen ist es umso schöner, wenn sich ehemalige Inhaftierte nach ihrer Entlassung mit 180 Grad Wende in Verbindung setzen und mit den Gruppenleitern in Kontakt bleiben wollen. Denn so können wir versuchen auch nach der Haft positiven Einfluss zu nehmen und beispielsweise mit dem Plus-Kurs, den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen. Auch seitens der JVA-Verantwortlichen erhalten wir positive Rückmeldungen. Unsere Gesprächskreisteilnehmer haben sich zum Positiven verändert und seien merklich ruhiger und entspannter geworden. Die Vollzugsbeamten sind froh darüber, dass sich externe Partner mit verhaltensauffälligen Insassen beschäftigen und bei Bedarf vermitteln können. Da geht es oft, um das Aufbrechen von Vorurteilen und tatsächlichen und gefühlten Diskriminierungserfahrungen. Im Gespräch mit den Inhaftierten können wir negative Erfahrungen aufgreifen und versuchen sie gemeinsam zu verarbeiten.
Was macht die Arbeit mit muslimischen Insassen aus?
Mermari: Die Kommunikation und Offenheit. Viele der Inhaftierten haben keinen geregelten Aufenthaltsstatus und sind alleine in Deutschland. Diese jungen Männer brauchen jemanden, der dieselbe Sprache spricht, jemanden mit dem sie reden und Sorgen teilen können. Im Grunde genommen reicht es schon, einfach nur da zu sein, einen Tee zu trinken und zuzuhören. Das würde den Meisten schon sehr helfen. Denn diese Männer bekommen in der Regel keinen Besuch, weil sie alleine sind.
Die Männer sind sehr dankbar für dieses Angebot; sie wissen, dass es nicht selbstverständlich ist.
Braucht man für die Arbeit mit muslimischen Straffälligen bestimmte Voraussetzungen, um als Gruppenleiter in Frage zu kommen?
Özer: Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Gruppenleiter authentisch sind und den Männern auf Augenhöhe begegnen. Natürlich erfordert die Arbeit in der JVA eine gewisse psychische Reife. Gruppenleiter sollten gestandene Persönlichkeiten und die notwendige Resilienz haben, denn teilweise begegnet man einem rauen Ton.
Es handelt sich um Personen, die keine Unschuldslämmer sind. Da darf man auch nichts romantisieren und denken, dass alle unverschuldet im Gefängnis sitzen: Im Gegenteil. Teilweise sitzen in den Gesprächskreisen knallharte Straftäter, die in ihrer Vergangenheit sehr schlimme Dinge getan haben.
Und das muss man sich auch immer wieder vor Augen führen. In den Gesprächszirkeln selbst ist natürlich auch Schlagfertigkeit und eine gute Gesprächsführung gefragt. Die Klientel ist außergewöhnlich und darüber sollte man sich im Klaren sein, bevor man sich auf diese Arbeit einlässt. Es ist nicht jedermanns Sache mit fünfzehn Straftätern zusammen in einem verschlossenen Raum zu sitzen.
Die meisten Menschen haben noch nie ein Gefängnis von innen gesehen. Wie habt ihr Euch gefühlt, als Ihr das erste Mal ein Gefängnis betreten habt?
Mermari: Das erste Gefängnis, was ich von innen gesehen habe, war das in Köln. Es ist ein besonderes Gefängnis. Die Räumlichkeiten und die ganze Ortschaft sind sehr alt; es hat etwas Historisches. Die Gefängnisleitung hat uns ermöglicht die Ortschaft in Ruhe zu erkunden und uns alles anzusehen und damit meine ich wirklich alles. Ich muss sagen, es war ein spezielles Erlebnis. Natürlich kann man einem Gefängnis nur als freier Mann etwas Positives abverlangen. Schließlich kann ich am Ende der Sitzung wieder nach Hause gehen.
Ihr habt im Laufe der Zeit mit mehr als hundert Insassen gesprochen. Was heißt es für sie in einem Gefängnis zu sitzen? Was ist die wahre Strafe?
Özer: Menschen die Freiheit zu entziehen, ist natürlich eine sehr empfindliche Strafe. Man merkt bei den einzelnen Inhaftierten, dass sie durch den Aufenthalt in der Strafanstalt viel verlieren; ihre Freiheit beschränkt ist. Bei vielen unserer Gesprächskreis-Teilnehmer ist es so, dass sie keinen Kontakt mit ihren Familien haben und auch keinen Besuch erhalten. Für sie ist der Haftaufenthalt nochmal schwerer als für Inhaftierte, die in Deutschland sozialisiert sind, wo wenigstens einmal die Woche Besuch von Familie und Freunden kommt.
Bei einigen unserer Teilnehmer habe ich im Laufe der Wochen einen psychischen Verfall beobachten können. Sie kommen mit dem Gefängnisaufenthalt psychisch nicht klar.
Natürlich muss man sie bestrafen, wenn sie Straftaten begangen haben. Ich möchte die Freiheitsstrafe nicht zur Abrede stellen. Aber ich bin der Auffassung, es sollten begleitend zur Haft Angebote geschaffen werden, welche die Inhaftierten dabei unterstützen, sich und ihr Verhalten zu reflektieren. Dazu gehört, dass man hingeht und erklärt „Hör mal, Du bist hier, weil Du einen erheblichen Fehler in deinem Leben gemacht hast und dafür geradestehen musst!“ und gleichzeitig die Person an die Hand nimmt und Wege aufzeigt wieder ein ordentliches Leben – in Freiheit- zu führen.
Denn man muss bedenken, die Rückfallrate liegt nach Angaben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz bei 48 Prozent. Deshalb ist es umso wichtiger bereits während der Haft für die Zeit danach Hilfestellung zu geben und Perspektiven aufzuzeigen.
Dahinter steht die Frage nach den eigentlichen Ursachen der kriminellen Laufbahn. Warum sind diese Männer in erster Linie überhaupt straffällig geworden? Meistens steckt immer eine gewisse Perspektiv- und Orientierungslosigkeit im Leben dahinter.
Eine Haftstrafe bringt der Gesellschaft nichts, wenn Menschen eingesperrt und ihre psychischen Probleme noch weiter vertieft werden. Dann versperrt die Haftstrafe nur die eigentlichen Probleme und behandelt nicht die Ursachen. Deswegen glaube ich, dass unser Angebot für muslimische Inhaftierte enorm wichtig ist.
Was müsste sich im Umgang mit ehemaligen Sträflingen ändern, damit Resozialisierung erfolgreich ist? Was würdet Ihr Euch wünschen?
Özer: Wir machen als 180 Grad Wende Präventionsarbeit. Der ein oder andere würde jetzt sagen:
Präventionsarbeit in der Haft? Ist das nicht schon zu spät?
Nein, es ist nie zu spät.
Denn diese Menschen werden wieder zurückgeführt in die Gesellschaft und wir möchten verhindern, dass sie wieder in die Straffälligkeit geraten. Um das erfolgreich bewerkstelligen zu können, braucht man mehr Angebote dieser Art in Haftanstalten. Mehr Träger und Initiativen sollten in den Haftanstalten aktiv werden. Was uns die Arbeit enorm erleichtern würde, wäre der Abbau von Bürokratie. Ich glaube diese Form von Angeboten, erfordert eine bessere Kultursensibilität in Haftanstalten. Auch hier haben wir bereits mit einem Seminarangebot für Vollzugsbeamte mitgewirkt. Aber das reicht noch nicht. Wir brauchen mehr Ressourcen, um noch intensiver mit diesem Personenkreis zusammenarbeiten und größere Erfolge erzielen zu können.
Vielen Dank für das Interview!